Von einem Recht auf Wohnraum sind wir
allerdings bis heute weit entfernt. Selbst im Grundgesetz sucht man
vergebens nach einer entsprechenden Formulierung. In Überlingen hält die
Diskussion darüber wie und vor allem wo bezahlbarer Wohnraum entstehen
kann an und erregt die Gemüter immer wieder aufs Neue. Kommunalen
Grundstücken wird aus mannigfachen Gründen die Eignung als Bauland
abgesprochen. Bevor überhaupt ein Bagger anrollen kann, wird die
Faktenlage zum bestehenden Wohnungsdruck in Überlingen durch
unterschiedliche Interessensgruppen zweckentfremdet. Brauchen wir
überhaupt noch Wohnungen? Entsteht denn wirklich bezahlbarer Wohnraum
oder eher Betongold? Und warum gerade in meiner Nachbarschaft und nicht
woanders?
Dabei geht es doch nur um Wohnraum und nicht um störendes Gewerbe, eine Umgehungstraße oder eine Windkraftanlage. Es geht um ein Grundbedürfnis aller Menschen auf dieser Erde. Wohnraum, der im Elementaren physisch bewohnbar sein soll, gesunde Wohnverhältnisse aufweist, rechtlich abgesichert ist und dauerhaften Schutz bietet. Grundforderungen, die normal selbstverständlich sein müssten. Es lassen sich leicht Argumente gegen die Bebauungsabsichten der Stadt vorbringen, wenn es einem in den eigenen vier Wänden doch so behaglich ist. Sich an der Diskussion um die Dringlichkeit von bezahlbaren Wohnraum zu beteiligen, ist erlaubt, wenn jede/r seine eigenen Anforderungen ans Wohnen als Bedürftige/r definiert. Selbst mal hinterfragen, ob mein Wohnraum so üppig sein muss und warum andere nicht in den gleichen Genuss kommen dürfen?
Das Bündnis für Wohnen in Potsdam hat den bezahlbaren Wohnraum treffend definiert: so soll für eine Wohnung (inklusive aller Betriebskosten) dauerhaft nicht mehr als ein Drittel des Haushaltseinkommens aufgebracht werden müssen und nach Abzug der Warmmiete noch ein Mindestbetrag zur Lebensführung übrig sein. 2023 lag die Armutsgefährdungschwelle laut dem Statischen Bundesamt für Alleinlebende bei 15.765 EUR/a, für zwei Erwachsene mit zwei Kindern bei 33.106 EUR/a. Somit steht den genannten Personengruppen maximal 434 EUR bzw. 910 EUR monatlich für die Warmmiete zur Verfügung (ohne Berücksichtigung von Wohngeld). Ausgehend von den festgesetzten Wohnungsgrößen im sozial geförderten Wohnungsbau darf die Warmmiete für eine/n Alleinlebende/n bei 2- Wohnräumen bis max. 47,25 m2 9,18 EUR/m2 und für eine vierköpfige Familie bei 4- Wohnräumen bis max. 94,5 m2 9,63 EUR/m2 betragen. Die ortsübliche Vergleichsmiete (Nettokaltmiete) der Stadt Überlingen liegt aktuell bei 9,76 EUR/m2. Für Mittelstädte wie Überlingen kann von einer Bruttokaltmiete von 11,32 EUR/m2 im Durchschnitt ausgegangen werden. Obendrauf kommen dann noch die warmen Nebenkosten (+ 15 bis 18 %). An dem Zahlenvergleich ist unschwer abzulesen, dass für die unteren Einkommensschichten das Wohnungsangebot in Überlingen sehr gering sein dürfte bzw. nicht existent ist. Ein Grund mehr, Abhilfe zu schaffen. Geeignete städtische Flächen sind vorhanden. Mit den bestehenden städtischen Wohnungen kann die Nachfrage langfristig nie gedeckt werden. 86 Wohnungen sind im Besitz der Stadt, davon sind aktuell 10 Wohnungen mit Flüchtlingen belegt. Die Wohnungen haben eine Wohnfläche von 44 bis 145 m2. Auf der städtischen Bewerberliste stehen derzeit 195 Bewerber/innen, davon 53 Familien, sonst überwiegend Alleinlebende und Rentner/Innen.
Es wird
in einer gewissen Regelmäßigkeit der Wohnungsbedarf für Überlingen in
Frage gestellt. Ausgehend von den Erhebungen des unabhängigen
wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Forschungs- und
Beratungsinstitut empirica wurde für das Zieljahr 2030 ein Wohnbedarf
von 917 Wohnungen ermittelt, verteilt auf Miet- und Eigentumswohnungen.
Aus den Daten des Statistischen Landesamtes Baden – Württemberg, Stand
Juli 2024, wurden im Zeitraum von 2019 bis 2023 684 Wohnungen, davon 60
Einfamilienhäuser fertiggestellt. Die mit einem Neubau verbundene
Rückbauquote liegt nach eigenen Erhebungen bei durchschnittlich zehn
Wohneinheiten pro Jahr (Wohnungsverlust für den Betrachtungszeitraum 50
Wohnungen). Die Anzahl der Wohngebäude mit drei oder mehr Wohnungen ist
um 61 Gebäude gestiegen bzw. um 496 Wohnungen, bei Wohngebäuden mit ein
oder zwei Wohnungen lag der Anstieg bei 35 bzw. 32 Wohnungen.
Insgesamt ist der Wohnungsbestand in der Stadt Überlingen im Zeitraum 2019 bis einschließlich 2024 um 513 Wohnungen gestiegen. Zum erforderlichen Zielwert der Wohnbedarfsanalyse besteht weiterhin ein Delta von minus 404 Wohnungen. Wo sollen bzw. können diese Wohnungen entstehen? Das Baugebiet „Südlich Härlen“ ist in der Erschließung. Hier entsteht neben einem Pflegezentrum und einem Kindergarten ausschließlich Wohnungsbau mit unterschiedlichen Wohnungstypen. Preisgedämpfter oder sozialgeförderter Wohnungsbau ist nur auf den städtischen Grundstücksflächen (5.230 m2) gefordert, die spitälischen Flächen sind von der Regelung des Überlinger Wohnbaulandmodell - Handlungsprogramm Wohnen 2030 ausgenommen. Die Konversionsfläche „Kramer Areal“ befindet sich in der Entwicklung. Mit einer Erschließung ist in frühestens drei Jahren zu rechnen. Hier kann dann auf dem städtischen Anteil an der Nußdorfer Straße überwiegend sozialer Wohnungsbau erfolgen, vorstellbar mit einer Quote von 90 %. Für die kommunalen Flächen „Torkel“ und „Lehen Ost“ (Bambergen), „Flurstück 100“ (Bonndorf) sowie „Öhmdwiese“ (Deisendorf) ist eine Überplanung aufgrund einzuhaltender Schutzbelange für gesunde Wohnverhältnisse bzw. Änderungen im Baugesetzbuch kurz- und mittelfristig nicht mehr möglich.
Fazit
Der Wohnungsbedarf ist explizit auf dem Sektor bezahlbares Wohnen und sozial geförderter Wohnungsbau nachweislich vorhanden. Das aktuelle Wohnungsangebot für diesen Bereich ist kaum spürbar. Der Markt ist weiterhin auf Eigentums- und Anlagenkapitalbildung ausgerichtet. Die Lage von Überlingen begünstigt dieses Phänomen selbst in der aktuellen Krise der Bauwirtschaft. Allein die Stadt kann und muss ihren Beitrag leisten, indem Sie ihre eigenen Grundstücke für eine sozialgerechte und letztendlich dem Wohl der Allgemeinheit dienende Wohnbebauung zur Verfügung stellt. Trotz schwieriger Bedingungen auf dem Bausektor muss eine Stadt wie Überlingen ihre Stadtentwicklung geordnet nach den Möglichkeiten ausrichten, wie es das Baugesetzbuch vorgibt:
Wohnbedürfnisse der Bevölkerung berücksichtigen, insbesondere auch von Familien, die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen und die Eigentumsbildung weiter Kreise der Bevölkerung ermöglichen. Mit den Überlegungen zur Bebauung der Fläche „Rauenstein Ost“ ist ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung unternommen worden.